Ubi bene, ibi patria
Ein paar Überlegungen oder Unterstellungen zu einem zeitgemäßen Thema. Ist das jetzt purer Egoismus oder gehört beides naturgemäß zusammen, Wohlbefinden und Heimat? Jedenfalls, wem es im Heimatland schlecht geht, der verlässt es und sucht sich ein neues. Wenn er kann. Das ist seit alters so gewesen und wird auch wohl so bleiben. Er sucht sich eine Heimat in der Fremde. Heimat und Fremde gehören zusammen wie, wie, ja wie denn? Das ist es eben: Wie denn?
Die Heimat muss einen Anspruch des Menschen erfüllen, den nämlich, dass er da „gut und gerne lebt“, wie die Kanzlerin zu sagen pflegt. Wenn die Heimat diesen Anspruch nicht erfüllt, bricht der Mensch zusammen oder zu neuen Ufern auf. Oder beides.
Es gibt einen ursächlichen Zusammenhang von Flucht und Heimat. Aber wir wollen jetzt nicht über ursächliche und unsägliche Zusammenhänge spekulieren. Sehen wir uns lieber die Bildzeitung an, die uns gestern kostenlos ins Haus flatterte. Eine ganze Spezialbildzeitung mit dem Thema „Heimat“! Nun gut, Fußball war auch dabei, aber Fußball gehört ja auch unbedingt zur Heimat. Genauso wie andere heimische und regionale Spezialitäten, also für die Münchner z.B. gehört „Weißwurscht“ zur Heimat und für den Saarländer „ Dibbelappes“. Die Bildzeitung lässt den früheren Bundespräsidenten Gauck zu Wort kommen, der eine frühe Prägung des Heimatgefühls durch Land und Umgebung für entscheidend hält. Das Gefühl der Geborgenheit, die Verbundenheit mit den Menschen, die seit Geburt und Kindheit um einen sind, sagt er, das mache die Heimat aus. Anderen ist die Kindheit wurscht. „Meine Heimat ist mein Dackel, versichert eine Leserin, und stellt damit die persönliche Beziehung über die örtliche und zeitliche Festlegung und den Dackel über den Großvater.
Und dann gibt es ja auch die weitgereisten, total offenen und überdurchschnittlich fortschrittlichen Menschen, die die Heimat als Idyll aus Gartenzwergen und Kletterrosen belächeln und der Heimatliebe einen gemütlichen Platz auf dem Sofa mit Blick auf den Watzmann im schmalzigen Bergfilm am Sonntagnachmittag gönnen, aber sonst mit ihr nichts am Hut haben. Die Heimat hat man nicht für alle Zeit, die Heimat kann einem genommen werden. Dann muss man weg. Dann ist man ein Heimatvertriebener.
Oder es ist Krieg in der Heimat. Oder man hört von Schlaraffenländern. Der massenweise Aufbruch in eine neue Heimat heißt Migration. Da stoßen dann die flüchtigen Migranten auf die Ortsansässigen. Die Flüchtigen bringen etwas mit, was die Ortsansässigen nicht unbedingt mit ihrer eigenen Vorstellung von Heimat vereinbaren können, Kopftücher zum Beispiel. Da müsste man dann die Heimatzutaten wohl modifizieren.
Und die Sprache spielt eine Rolle für die Heimat, das ist ganz klar. Wo sich die Zungen scheiden, da scheiden sich auch die Geister. Inzwischen gibt es deutschfreie Räume, wo Deutsch höchstens Zweitsprache ist, das heißt, es wird nur noch zu zweit gesprochen, ein Lehrer und ein Schüler. Solche Räume sind dann Klassenräume, in denen Deutsch als Muttersprache keine Chance hat. Da ist dann das Wort Überfremdung schnell bei der Hand und beim Gefühl.
Inzwischen spielt auch die Zahl eine Rolle. Aber wer auf Zahlen anspielt, gilt schnell als xenophob, wenn er zu den besseren Kreisen gehört, und als fremdenfeindlich, wenn er in der Unterschicht beheimatet ist. Das Wort „Obergrenze“ wird ins Wörterbuch des Unmenschen verbannt. Die Menschlichkeit hat doch wohl Vorrang vor Zahlhaftigkeit! Wir können das zahllose Elend in der Welt nicht draußen vor der Tür lassen und so tun, als ginge es uns nicht an. Das geht doch nicht!
Heimat kann eben in unserer heutigen Welt nicht nur der Ort sein für die, die immer schon da waren. Heimat muss auch ein gastlicher Ort sein für die, die kommen und Heimat suchen. Man muss irgendwo daheim sein können, wo man vorher nicht war. Aber geht das? Und wenn es geht, wie geht es dann?
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