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Reimzeit

In der zweiten Jahreshälfte 2021 wird mein neues Buch "Reimzeit" erscheinen. In diesem Buch habe ich zahlreiche satirische Gedichte zusammengetragen. Im Folgenden stelle ich hier schon einmal das Vorwort ein:

Vorwort oder Eingangskolumne

Guten Abend, verehrte Leserinnen und Leser!

Ich freue mich, dass Sie an diesem heutigen Abend Zeit und Muße gefunden haben, sich auf meine Verse einzulassen und hoffe auch, dass Sie mir eine Zeitlang auf den Versen bleiben. Wenn im Augenblick nicht Abend sein sollte, macht ´s auch nichts. Reimzeit ist eigentlich immer.

Aber heute ist wieder mal allerhand ungereimtes Zeug in der Welt passiert! Man kann sich zwar seinen Reim drauf machen, aber wird’s dadurch besser?

Ja, möchte ich sagen. Eine gereimte Welt ist eine bessere Welt!

Wir müssen nicht alles einfach so hinnehmen, wir können uns was dabei denken, wir können es anders sehen, wir können träumen und reimen. Das ist immer besser als zu sagen: Mir doch egal! Da mach ich mir nichts draus!

Ah, was für eine Freiheit! Besteht die Freiheit in Taten, die nichts bringen, oder in Worten, die nichts nutzen und daher allgemein als Handlungs-, Meinungs- und Redefreiheit zugestanden werden? Eine alte Menschheitsfrage, die immer wieder neue und schöne unbefriedigende Antworten findet.

Doch wenn man schon die Welt nicht ändern kann, soll man sie wenigstens so benennen und beschreiben dürfen, wie es einem passt. Das ist sozusagen ein Menschenrecht. Und tatsächlich sieht die Welt oft gleich ganz anders aus, wenn wir sie nach Lust und Laune benennen, was natürlich nicht heißt, dass sie dann anders ist. Sei ´s drum! Wir können träumen. Im Traum herrscht die absolute Freiheit.

Brave new world!

Der schreibende Mensch nutzt seine Freiheit aus. Schamlos manchmal. Ein dickes Buch ist ein dickes Übel, befand schon vor geraumer Zeit der alexandrinische Dichter Kallimachos. Heute türmen sich in den Buchhandlungen die Übel, die die Freiheit der Schreibenden hervorgebracht hat. Je dicker der Band, desto seller das Buch! Immerhin lassen sich dickleibige Bücher hervorragend als Briefbeschwerer verwenden, was allerdings in einer Zeit, in der kaum Briefe geschrieben werden, ein relativ blasser Vorteil ist. Das vorliegende Büchlein dagegen ist, wie das Diminutiv andeutet, kaum dazu geeignet, Briefe zu beschweren. Das ist nur einer seiner Mängel. Wenn Sie hineinkucken, werden Sie sicher noch andere Mängel feststellen und sich selbst beschweren.

Die Mangelhaftigkeit der Welt festzustellen ist ja eine Lieblingsbeschäftigung von uns Deutschen, der wir mit von edlem Pflichtgefühl und unbestechlicher Wahrheitsliebe geprägter Gründlichkeit nachkommen.

Aber auch die Mangelhaftigkeit der Welt zu vervollkommnen, wird von vielen durchaus als postmoderne Schlüsselaufgabe angesehen. Vieles, was sich bewährt hat, wird allein deswegen aufgegeben, weil es zu wenig mangelhaft ist.

Aber ich komme ins Plaudern und vom Hundertsten ins Tausendste. Wenn man den Leser und erst recht die Leserin ins Vertrauen zieht, kann es einem schon mal so gehen, dass man sich verplaudert. Man legt dem geneigten Leser oder noch lieber der zugeneigten Leserin den Arm um Leib und Seele und redet das Blaue vom Himmel herunter.

Und dann ist Abend und man sitzt im Mondschein am Brunnen vor dem Tore unterm Lindenbaum und redet vertraulich miteinander über Gott und die Welt.

Gerne redet man ja auch um die Sachen herum. Ich denke, dass es gerade ein Zeichen von Vertrauen ist, um die Sachen herumzureden. Die Sachen, über die man redet, sind oft weniger wichtig als der Mensch, mit dem man redet. Oder? Das weiß ich jetzt auch nicht so genau. Aber die Sachen, um die man herumredet, lassen es zu, dass man nicht Farbe bekennen muss. Man kommt überhaupt besser miteinander zurecht, wenn man sich allzu knalliger Farbgebung enthält.

Ich muss allmählich doch darauf zu sprechen kommen, dass es sich bei diesem Büchlein um etwas handelt, was nicht jedermanns Sache ist und jederfrau auch nicht. Es bleibt dem Autor nichts anderes übrig, als mit einer gewissen Schamröte auf den vielfältigen Wangen zu bekennen, dass er dabei ist, Ihnen, verehrte Leser*innen, ein Gedichtsbuch unterzujubeln. Nein, kein Geschichtsbuch, das ginge ja noch an, aber ein Buch mit Gedichten, die überdies noch meist gereimt sind, über den imaginierten Ladentisch zu schieben, das ist schon eine recht zudringliche Handbewegung, die der allgemeinen Billigung nicht unbedingt ausgesetzt ist und leicht auf kein Echo stößt.

Gedichte stehen zwar im Ruf, sensible Frauenherzen zum Klingen zu bringen, aber die Gedichte müssen auch danach sein. Die Frauenherzen übrigens auch. Ob diese Gedichte Klinggedichte für Frauenherzen sind und ein Echo hervorrufen, das sich gewaschen hat, das zu behaupten würde ich nicht wagen. Aber der Autor weiß immer am wenigsten. Auch das von hoher poetischer Verantwortung getragene Versemachen kann in die Irre führen. Wie vieles ist schon per Vers in Wege geleitet worden, die nirgendwo hin führten.

Wenn ich jetzt zudem noch eingestehe, dass diese poetischen Produkte weniger dem Gefühl als dem Gedanken geschuldet sind und cum grano salis gewürzt sind, habe ich fast Lust, mutlos zu werden und lautlos die Flinte ins Korn zu werfen. Glücklicherweise ist aber erst Frühling und kein Getreide reift. Das lässt mich dann doch die Unsinnigkeit einer solchen Handlungsweise einsehen und wieder Mut schöpfen.

Nun muss sich alles, alles wenden!“ hat einst ein Dichter gerufen. Darauf vertraue ich und wende mich ebenfalls, nämlich an Sie, liebe Leserinnen und Leser.

Aber wie ich mich auch drehe und wende, die rings um mich und meinen Schreibtisch sich dehnende Leere und Lautlosigkeit bedrückt mich schon ganz schön.

Wo seid ihr denn, liebe Leserinnen und Leser? Hallo! Ist niemand da?

Ach ja, ist ja klar! Wenn wir einen flüchtigen Blick aufs Zeitgeschehen werfen, fällt uns auf und ein, dass wir in Zeiten von Corona leben. Da gilt es einen Mindestabstand einzuhalten.

Somit ist der verträumte Autor in seinem stillen Kämmerlein ganz allein auf weiter Flur. Keine Sterbensseele, die ihm ermunternd auf die Schulter klopft und ihm „Es wird schon werden!“ zuflüstert. Er ist in einer verdammt verlassenen Lage in dieser unserer Zeit. Zumal wenn er sich nicht zur digitalen Generation rechnen darf und demgemäß mit keinem einzigen verdammten Follower im sagenhaften Internet rechnen kann.

Aber was soll er tun, wenn es über ihn kommt und er unter sich kuckt aufs weiße Papier, das nach Versen lechzt, und der poetische Puls klopft wie einst im Mai?

Manche machen sich Mut und behaupten: Früher ging ´s doch auch!

Der Autor schiebt alles auf die Muse. Das war früher ja auch so. Der Autor ist den inspirativen Einflüsterungen der Muse ausgesetzt. Wer schreibt, handelt in höherem Auftrag und trägt nicht die Verantwortung, schon gar nicht die alleinige.

Nicht verhehlt werden soll, dass dem Autor daran liegt, nicht nur Menschen und Dinge klar und deutlich zu benennen, sondern auch guten und vor allem billigen Rat zu erteilen. Diese Raterteilung entspringt nicht dem Besserwissen des Autors, wovon er trotz gegenteiliger Erfahrungen auch keineswegs überzeugt ist, sondern ist der natürlichen Reimhaftigkeit seiner Kunstausübung, seinem satirischen Blickwinkel auf Zeit und Traum und überhaupt seinem der Ironie und dem Spott zutiefst verpflichteten Weltverbesserungsanliegen geschuldet.

Der Dichter macht sich seit je seinen Reim auf alles, was da so ist. Gereimte Sachen machen mehr Spaß und finden leichter Glauben. Der Leser braucht sich nicht selber seinen Reim auf die Welt zu machen. Und Reim und Rat gehören seit Menschengedenken zusammen wie Tun und Tat, nicht wahr. Wer raten will, reimt.

Noch eine kurze Bemerkung zu Reim und Wahrheit. Im Reim liegt Wahrheit, hat immer wieder ein Großonkel von mir damals glaubhaft versichert. Oder sagte er: Im Wein liegt Wahrheit? Egal! Wenn ich mein frühkindliches Reimen in Betracht ziehe, lässt sich kaum daran zweifeln, dass Reim und Wahrheit einander nahe stehen.

Wenn ich, in der Küche auf dem Schoß meiner Oma sitzend, die Welt draußen vorm Fenster mir reimend zu erschließen versuchte, sah meine Oma mich liebevoll an und sagte: Reimereißer! Worauf ich, fröhlich bestätigend, ausrief: Bochsescheißer!

Eine Bemerkung zu Umwelt und Klima, für deren Belange einzutreten der Autor sich durchaus berufen zu fühlen geneigt ist, sollte nicht unterdrückt werden.

Der Autor erklärt sich für geneigt, ja sogar bereit, mit Klang und Rat oder sogar mit Klingeln und Rad schützend durch die Umwelt zu streifen und für ein gutes Klima auf die Pedalen zu treten und lädt jedermann und jedefrau dazu ein, ihm dabei auf den Versen zu bleiben.

Und nun schließe ich einfach die Augen und stelle mir vor, dass Sie bereit sind, sich auf die geheimen Offenbarungen des Autors einzulassen, liebe Leser*innen, und vor literarischer Geneigtheit und blühender Leselust und grenzenloser Neugier geradezu strotzen. Lassen Sie sich also vertrauensvoll auf das ein, was der Autor nicht auslassen konnte! Natürlich könnten Sie auch auslassen, auf was der Autor sich eingelassen hat. Verzeihung, ob dieses und künftiger Kalauer!

Und auch wenn Sie auf gelegentliche Seichtheiten stoßen, lassen Sie es sich nicht verdrießen. Die Wahrheit ist nicht immer tiefgründig. Auf der Oberfläche des Lebens tummeln sich ´ne Menge Wahrheiten. Sie sind zwar oft etwas platt, aber auch platte Wahrheiten können einem ganz schön unter die Arme greifen.

Wenn Sie also nun wirklich da sein sollten, liebe Leserin, lieber Leser, so wie ich Sie mir vorstelle: In Ihrem geschmackvoll eingerichteten Gemach weilend, das Büchlein in Ihren feingliedrigen Händen haltend, sich zum geneigten Lesen ausgesprochen angesprochen fühlend, wenn dem also so wäre- und warum sollte dem nicht so sein- sähe ich mich für alle meine tief angelegten Gedankengänge, wetterleuchtenden Geistesblitze, kühnen Inspirationen und mit sanftem Spott dargebotenen Welterklärungen unheimlich belohnt und spräche heimlich und leise, aber voll vernehmlich und möglichst einvernehmlich:

Danke! Danke! Danke!

 

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Die Freuden der Erinnerung

Die Freuden der Erinnerung

Wenn wir älter werden, lassen die körperlichen Kräfte und Säfte spürbar nach. Früher konnte man stundenlang im Garten arbeiten, früher konnte man putzen und schreiben und werken und sinnen, früher ist man überhaupt nicht müde geworden.

Früher hat man auch nichts vergessen. Man hat keinen Namen vergessen und keinen Geburtstag und wenn man in den Keller hinabgestiegen ist, um etwas zu holen, hat man sich, wenn man unten angekommen war, nicht gefragt: Was willst du denn eigentlich hier im Keller? Tempi passati! Es war einmal! Aber keine Panik auf der Titanic! Man steigt ja auch nicht jeden Tag in den Keller, um festzustellen, dass man nicht weiß, warum man in den Keller gestiegen ist.

Eine Kraft des Gedächtnisses jedenfalls ist aufs Schönste erhalten geblieben, ja, sie ist fast noch stärker geworden: die Kraft der Erinnerung. Sie erlaubt uns, furchtlos in den tiefen Keller der Vergangenheit hinabzusteigen, wo die lang vergangenen schönen Zeiten und Momente und Begebenheiten in den langen Regalen des Langzeitgedächtnisses da stehen wie Gläser mit bunter Marmelade. Was uns die Erinnerung da zeigt und kosten lässt, ist fast schöner als damals, als es sich wirklich ereignete, und süßer als damals, als es Gegenwart war. Das Gedächtnis hat es konserviert, die Zeit hat es mit einer Staubschicht, aber auch mit einer schimmernden und schützenden Patina bedeckt. Da verdirbt nichts.

Im Keller der Vergangenheit begegnen wir den Menschen wieder, die wir kannten, und denen, die wir liebten, und wir erleben mit ihnen allen wieder das, was wir damals mit ihnen erlebten. Wir stehen wieder mit den Kindern unterm Weihnachtsbaum, wir finden uns mit Eltern, Großeltern und Verwandten auf Geburtstagen und Kommunionsfeiern und an Weihnachtsfesten wieder, wir stehen mit den Pfadfindern unterm wehenden Lilienbanner und sitzen mit Freunden in der verräucherten Kneipe. Die Kraft der Erinnerung ermöglicht uns, Reisen, die wir gemacht haben, in vielleicht noch größerer Schönheit nachzuempfinden: eine Dampferfahrt auf dem Rhein oder die erste Begegnung mit dem Meer. Wir erleben noch einmal die Wanderung in den Tiroler Bergen und sitzen an einem warmen Sommerabend bei einem Glas Wein im Innenhof eines spanischen Parador.

Wie schön ist es auch, sich gemeinsam zur erinnern! Weißt du noch, wie …?

Man muss in der Gegenwart nicht nur munter drauflos leben, man muss auch in der Gegenwart nicht immer an die Zukunft denken und sich vor Altersarmut schützen, man muss auch versuchen, die Kammern der Vergangenheit mit wertbeständigen Gütern zu füllen, mit Schätzen, die nicht Rost und Motten verzehren und denen auch Most und Rotten nichts anhaben können.

Die Erinnerung verbindet uns mit Menschen, die nicht mehr sind. Wir hören aus der Kindheit die Mahnungen unserer Eltern und Großeltern, wir hören zärtliche Worte aus der Jugendzeit, wir hören witzige Bemerkungen der Freunde im geselligen Kreis. Als wäre es gestern gewesen!

Das ist der große Vorzug, den das Alter hat, dass wir tief in die Vergangenheit hinabsteigen können. Damit sind wir Alte privilegiert der Jugend gegenüber, die noch keinen vernünftigen Keller besitzt und kaum Vergangenheitsvorräte aufzuweisen hat und fast ganz auf die nüchternen Darbietungen der Gegenwart angewiesen ist. Die Jugend meint, sie muss die Gegenwart genießen. Aber das sind dann oft nur unsinnige Zeitverstreichungen und momentane Großartigkeiten, die dahin gehen und vergessen werden. Nein, man muss dafür sorgen, dass aus der Gegenwart eine gute Vergangenheit wird. Oder ist das zu viel verlangt? Lächeln die Jungen da nur, mit denen „die „neue Zeit zieht“? Wir Alte jedenfalls können vor der rauen Gegenwart in die Sanftheit einer kuscheligen Vergangenheit ausweichen. Wenn sie auch nie kuschelig war, die Kraft der Erinnerung schafft ein heimeliges Ambiente. Ja, so ist das, die Gegenwart beschwert, die Vergangenheit verklärt und davon hat man was.

Wie die Erinnerung beschäftigt sich auch die Literatur gern mit dem, was war und haucht vergangenen Zeiten Leben ein. Der Erzähler, der „raunende Beschwörer des Imperfekts“, ruft ähnlich wie unsere Erinnerung vergangene Zeiten auf. Da soll man lauschen und sich den evozierten Vorstellungen sorglos überlassen. Man kann sie mit in die Gegenwart hinein nehmen, man kann eine Verbindung herstellen. Die Gegenwart aus der Vergangenheit heraus angehen, dass ist es. Die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart, das ist der Mensch. Und wenn die Vergangenheit reich war, hilft das dem Menschen in der Gegenwart. Tempus fugit! Klar! Aber das ist die Lösung: Aus der Gegenwart eine schöne, bleibende Vergangenheit machen.

Die Vergangenheit ist tiefgründig und beständig, die Gegenwart als solche ist oberflächlich und vergänglich. Man sollte in der Gegenwart dafür sorgen, dass man eine gute Vergangenheit bekommt, an die man sich gern erinnert und die einem auch in der Gegenwart hilft. „Tief ist der Brunnen der Vergangenheit“, sagt der Dichter. Lasst uns kühles Wasser daraus schöpfen und uns erfrischen!

Aaah, das tut gut. (2017/ 2019)

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Die Einwanderungsgesellschaft

Die Kommission aus Expertinnen und Experten einer parteinahen Stiftung hat 2018 ein „Leitbild für die Einwanderungsgesellschaft“ vorgestellt. Für welche Einwanderungsgesellschaft denn? fragt der unaufgeklärte Zeitgenosse. Geht es um Kanada oder um welches Land, das sich zum Einwanderungsland erklärt hat, geht es? Ein paar Zeilen weiter fällt es ihm wie Schuppen von den Haaren: Es geht um Deutschland! Die deutsche Gesellschaft ist zwar meines Wissens nie expressis verbis zur Einwanderungsgesellschaft verklärt worden, da aber bisher ganz schön in die deutsche Gesellschaft eingewandert worden ist, muss man doch wohl von einer Einwanderungsgesellschaft sprechen können dürfen, oder?

Der Argumentation der Experten und Expertinnen der vorliegenden Studie zufolge verleiht nicht nur die Tatsache, dass eingewandert worden ist, der deutschen Gesellschaft zwangsläufig die Bezeichnung Einwanderungsgesellschaft, sondern die Tatsache der Einwanderung zieht auch selbstverständlich die Verpflichtung nach sich, weiterhin konsequent zum Einwanderungsgeschehen zu stehen. Einmal Einwanderungsgesellschaft – immer Einwanderungsgesellschaft! Ist ja auch wahr, wenn man s´recht bedenkt. Man kann nicht mir nichts dir nichts eine gut funktionierende und öffentlich gefeierte und geschaffte Einwanderung plus Willkommenskultur einfach stoppen. Die oben genannten Experten setzen sich die Aufgabe, das den Leuten auch klar zu machen. Denn es ist ja oft so, dass die Leute das nicht sehen, was ihnen klar vor Augen liegt. Man muss es ihnen erst klar machen. Das, was einem klar vor Augen liegt, kann man sehen und verstehen, man kann es aber auch sehen und nicht verstehen. Ja, man kann es auch überhaupt nicht sehen, das gibt ´s auch. Zu viel Nähe trübt die Sicht. Da setzt die Aufgabe der Klarmacher ein.

Hell dringt uns der Ruf der scheidenden Ministerin für Integration ins verstopfte Ohr. Sie ruft nicht etwa „Scheiden tut weh“, sie ruft: „Integrieren tut not“. Sie erklärt auch gleich, wie sie das meint: „Herkunft darf kein Schicksal sein!“ Das ist jetzt natürlich eine sehr mythische Aussage. Wir versinken in tiefes Nachdenken. Die Herkunft soll nicht ein Los, ein Verhängnis, ein Unglück sein. Also wenn du zum Beispiel ein Indianer bist, dann ist das kein unglückliches Schicksal, sondern reiner Zufall. Oder wenn du aus einer Familie von Ölmillionären stammst, das ist auch Zufall und darf dir nicht angelastet werden. Es geht natürlich meist nicht um eine glänzende Herkunft, die kein Schicksal sein darf – das ist ein anderes Thema- nein, es geht um die Herkunft von Menschen, die buchstäblich nichts haben außer ihrer Herkunft. Da ist es nun die Aufgabe der Integration, deren lastende Herkunft in eine unbelastete Zukunft umzuwandeln. Das ist natürlich ein Prozess und dazu braucht man nicht nur eine Bereitschaft der Dahergekommenen sich der neuen Situation anzupassen, man braucht vor allem einen Bewusstseinswandel bei den Alteingesessenen. Denn nur durch die Bereitschaft der Alteingesessenen, die Dahergekommenen zu integrieren, kann das Zugehörigkeitsgefühl der Dahergekommenen entwickelt werden und die Schicksalhaftigkeit ihrer Herkunft in die Glückhaftigkeit ihrer Zukunft umgewandelt werden. Dafür brauchen wir keine Leitkultur, wie manche meinen, wir brauchen ein Leitbild, sagt die scheidende Ministerin. Die Leitkultur lege nämlich fest, wer dazu gehöre und wer nicht, sagt die Ministerin. Das Leitbild dagegen denke inklusiv und partizipativ, sagt die Ministerin. Tiefe Sätze, ja partizipatiefe Sätze, deren Partizipatiefe kaum auszuloten ist, deren moralischer Anspruch aber einleuchtet. Gegen inklusiv denkende Leitbilder lässt sich schlecht etwas dagegen sagen.

Die Vielfalt ist jedenfalls das, was uns eint, und nicht etwa die Einfalt. Viele bestehen leider einfältig auf dem, was uns trennt, anstatt vielfältig zu sehen, was uns eint. Denn die Einwanderer sind Menschen wie du und ich und wir müssen sie dort abholen, wo sie stehen oder sitzen. Sie kommen uns eigentlich auf jede Weise entgegen. Da verlangt es der pure Abstand, dass wir dem frohgemut entgegen sehen. Und wir brauchen die Gleichheit in der Vielfalt, die Schulen zum Beispiel brauchen keine Sonderprogramme für Einwandererkinder, sagen die Experten, die Lehrer müssen aus ihrem Trott herauskommen und die Fähigkeit entwickeln, mit Vielfalt umzugehen. Wir müssen alle nicht auf dem bestehen, was uns trennt, sondern wir müssen angesichts der Vielfalt der Ankommenden deutlich hervorkehren, was uns eint. Nicht umsonst singen wir doch: Einigkeit und Recht und Freiheit. Überhaupt Fußball. Das sind doch Dinge, zu denen wir alle ja sagen können. Natürlich muss dann auch in der Nationalmannschaft die Nationalhymne mitgesungen werden. Von allen. Aber nicht unbedingt sofort. Es darf jedenfalls nicht sein, dass ein Spieler die Nationalmannschaft verlassen muss, bloß weil er die Nationalhymne nicht kann. Das ist kein gelungenes Beispiel für Integration. Da soll sich der Trainer mal an die Brust schlagen. Und wir auch. Solange man sich an die Brust schlägt, besteht Hoffnung.

 

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Ubi bene, ibi patria

(Wo ´s mir gut geht, da ist meine Heimat.)

Ein paar Überlegungen oder Unterstellungen zu einem zeitgemäßen Thema. Ist das jetzt purer Egoismus oder gehört beides naturgemäß zusammen, Wohlbefinden und Heimat? Jedenfalls, wem es im Heimatland schlecht geht, der verlässt es und sucht sich ein neues. Wenn er kann. Das ist seit alters so gewesen und wird auch wohl so bleiben. Er sucht sich eine Heimat in der Fremde. Heimat und Fremde gehören zusammen wie, wie, ja wie denn? Das ist es eben: Wie denn?

Die Heimat muss einen Anspruch des Menschen erfüllen, den nämlich, dass er da „gut und gerne lebt“, wie die Kanzlerin zu sagen pflegt. Wenn die Heimat diesen Anspruch nicht erfüllt, bricht der Mensch zusammen oder zu neuen Ufern auf. Oder beides.

Es gibt einen ursächlichen Zusammenhang von Flucht und Heimat. Aber wir wollen jetzt nicht über ursächliche und unsägliche Zusammenhänge spekulieren. Sehen wir uns lieber die Bildzeitung an, die uns gestern kostenlos ins Haus flatterte. Eine ganze Spezialbildzeitung mit dem Thema „Heimat“! Nun gut, Fußball war auch dabei, aber Fußball gehört ja auch unbedingt zur Heimat. Genauso wie andere heimische und regionale Spezialitäten, also für die Münchner z.B. gehört „Weißwurscht“ zur Heimat und für den Saarländer „ Dibbelappes“. Die Bildzeitung lässt den früheren Bundespräsidenten Gauck zu Wort kommen, der eine frühe Prägung des Heimatgefühls durch Land und Umgebung für entscheidend hält. Das Gefühl der Geborgenheit, die Verbundenheit mit den Menschen, die seit Geburt und Kindheit um einen sind, sagt er, das mache die Heimat aus. Anderen ist die Kindheit wurscht. „Meine Heimat ist mein Dackel, versichert eine Leserin, und stellt damit die persönliche Beziehung über die örtliche und zeitliche Festlegung und den Dackel über den Großvater.

Und dann gibt es ja auch die weitgereisten, total offenen und überdurchschnittlich fortschrittlichen Menschen, die die Heimat als Idyll aus Gartenzwergen und Kletterrosen belächeln und der Heimatliebe einen gemütlichen Platz auf dem Sofa mit Blick auf den Watzmann im schmalzigen Bergfilm am Sonntagnachmittag gönnen, aber sonst mit ihr nichts am Hut haben. Die Heimat hat man nicht für alle Zeit, die Heimat kann einem genommen werden. Dann muss man weg. Dann ist man ein Heimatvertriebener.

Oder es ist Krieg in der Heimat. Oder man hört von Schlaraffenländern. Der massenweise Aufbruch in eine neue Heimat heißt Migration. Da stoßen dann die flüchtigen Migranten auf die Ortsansässigen. Die Flüchtigen bringen etwas mit, was die Ortsansässigen nicht unbedingt mit ihrer eigenen Vorstellung von Heimat vereinbaren können, Kopftücher zum Beispiel. Da müsste man dann die Heimatzutaten wohl modifizieren.

Und die Sprache spielt eine Rolle für die Heimat, das ist ganz klar. Wo sich die Zungen scheiden, da scheiden sich auch die Geister. Inzwischen gibt es deutschfreie Räume, wo Deutsch höchstens Zweitsprache ist, das heißt, es wird nur noch zu zweit gesprochen, ein Lehrer und ein Schüler. Solche Räume sind dann Klassenräume, in denen Deutsch als Muttersprache keine Chance hat. Da ist dann das Wort Überfremdung schnell bei der Hand und beim Gefühl.

Inzwischen spielt auch die Zahl eine Rolle. Aber wer auf Zahlen anspielt, gilt schnell als xenophob, wenn er zu den besseren Kreisen gehört, und als fremdenfeindlich, wenn er in der Unterschicht beheimatet ist. Das Wort „Obergrenze“ wird ins Wörterbuch des Unmenschen verbannt. Die Menschlichkeit hat doch wohl Vorrang vor Zahlhaftigkeit! Wir können das zahllose Elend in der Welt nicht draußen vor der Tür lassen und so tun, als ginge es uns nicht an. Das geht doch nicht!

Heimat kann eben in unserer heutigen Welt nicht nur der Ort sein für die, die immer schon da waren. Heimat muss auch ein gastlicher Ort sein für die, die kommen und Heimat suchen. Man muss irgendwo daheim sein können, wo man vorher nicht war. Aber geht das? Und wenn es geht, wie geht es dann?

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Alle Menschen sind gleich

Alle Menschen sind gleich! Eine schöne Idee! Ein Aufschrei aus frühen Tagen! Liberté, Egalité, Fraternité! Eine revolutionäre Forderung, die ganz schön schief gelaufen ist, wie wir wissen. Aber sie geistert weiter durch die Geister. Ist es ein unvergängliches Postulat? Ist es ein Glaubensbekenntnis? Ist es die communis opinio, der man ohne weiteres Nachdenken zustimmen möchte? Ist es ein Ziel, „ aufs Innigste zu wünschen“? Schön hört sich auch der einschränkende Satz an, dass vor dem Gesetz alle Menschen gleich sind. Den möchte man doch gleich aus vollem Herzen bejahen.

Aber dann sehen wir in Film und Leben, dass nicht alle Menschen gleich sind. Und dann denken wir: Ja, ja, vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich, aber manche sind gleicher.

Aber ist es trotzdem nicht sinnvoll, angesichts von Tatsachen auf Forderungen und Behauptungen zu bestehen? Man soll nicht vor den Tatsachen kapitulieren. Eine edle märchenhafte Behauptung kann doch noch irgendwie auf die Wirklichkeit einwirken. Wenn von vorneherein auf der Ungleichheit der Menschen bestanden würde, könnte daraus das Recht abgeleitet werden, die Menschen ungleich zu behandeln, also Brutalität zu rechtfertigen, weil der und der es ja verdient habe.

„Alle Menschen sind gleich“ - der Satz mag bedeuten, dass alle Menschen die gleiche Würde haben, insofern sie Menschen sind. Und diese Würde verbietet es, Menschen „unmenschlich“ zu behandeln. Es ist besser, sprachlich auf Edelmut zu bestehen, als die Brutalität der Tatsachen sprachlich vorwegzunehmen. Es ist schon gut, vom Menschen etwas zu fordern, was er leider noch nicht ist. „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!“ Er sei es!

Vor Gott sind alle Menschen gleich. Mag Gott den Heiligen genauso wie den Sünder? Die Geschichte vom verlorenen Sohn legt das nahe. Es ist tröstlich, solche Geschichten zu hören. Aber dann sehen wir doch, dass im Leben nicht alle Menschen gleich sind. Es wäre ja auch furchtbar, wenn alle gleich wären, sagen wir. Das wäre doch langweilig. Die soziale Gerechtigkeit hebt auch auf die Gleichheit der Menschen ab. Warum soll der mehr haben als ich? Vor der Idee der Gleichheit kann man sich ganz schön verbiegen und verbeugen. Mit der Idee der Gleichheit kann man sich verlustieren. Und mit der Idee der Gerechtigkeit stößt sie auch ganz schön zusammen. Wenn alle gleich sind, sollten dann nicht alle auch gleich viel haben? Zumindest das „bedingungslose Grundeinkommen“ ? Ist die Gerechtigkeit die liebevolle Schwester der Gleichheit oder ihre hartherzige Kusine? Lasst uns weiter darüber sinnen.

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